02.08.2023|
Die Medien brauchen mehr Frauen
Wenn Sie beim Lesen des Titels denken «Oh nein, nicht schon wieder ein Beitrag über Gender-Ungleichheit», scrollen Sie bitte zunächst ganz nach unten bis zum Beschrieb «Über die Autorin».
Gemacht?
Gut. Dann lesen Sie nun bitte weiter.
Die Idee für diesen Beitrag hatte ich dank Patrizia Laeri. Nach der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS schrieb die CEO der Finanzplattform elleXX auf LinkedIn, dass sie alle Medienanfragen zu diesem Thema abgelehnt habe. «Ich will nicht zu allen Wirtschaftsthemen als Expertin auftreten. Typisch Frau. Herren waren nämlich schnell zur Stelle.»
Das Problem nach Laeris Absagen: In den Berichterstattungen zur CS-Krise kamen fast ausschliesslich Experten zu Wort, die weibliche Perspektive fehlte grösstenteils. Schade, denn Laeri ist nicht die einzige qualifizierte Ökonomin im Land.
Drei männliche Erwähnungen auf eine weibliche
Wer regelmässig Medien konsumiert, dürfte zumindest spüren, dass Frauen generell weniger repräsentiert werden als Männer. Überraschend sind die deutlichen Zahlen zum medialen Gender-Gap, die einer Studie des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög)1 von 2021 zu entnehmen sind. Der Frauenanteil in Schweizer Medien bei den Erwähnungen beträgt 23%. Auf eine Erwähnung einer Frau kommen also rund drei Erwähnungen von Männern. Dieses Resultat gelte in allen Sprachregionen und über sämtliche Medientypen hinweg, schreiben die Studienautor:innen.
Je nach Thema sind die Unterschiede noch grösser. Während der Frauenanteil in der Kultur (27%) und bei Human-Interest-Themen (31%) etwas höher ist, liegt er bei Wirtschaftsthemen (17%) und in der Sportberichterstattung (13%) klar unter dem Durchschnitt. Gemäss fög ist dieser Gender-Gap kein rein schweizerisches Phänomen. Die Studie verweist auf diverse internationale Untersuchungen, die zeigen, dass Frauen weniger häufig zitiert, interviewt und als Wissenschaftsexpertinnen herbeigezogen werden.
Einfluss auf die Wahrnehmung
Werden Frauen – und im Übrigen auch non-binäre Personen und Trans-Menschen2 – in den Medien seltener dargestellt, beeinflusst das unter Umständen, wie die Gesellschaft diese Bevölkerungsgruppen wahrnimmt. So werde Frauen beispielsweise ein geringerer Expertenstatus zugeschrieben, weil sie weniger oft als Expertinnen in der öffentlichen Debatte auftreten würden, heisst es in der fög-Studie weiter. Und weil sie seltener zu sehen und zu hören sind, nimmt man sie weniger als Expertinnen wahr – ein klassischer Teufelskreis. Ähnliches gilt bei Politiker:innen, die medial nicht so stark repräsentiert sind: Ihre Chance, für ein Amt nominiert oder gewählt zu werden, ist geringer als jene von Personen, die präsenter sind. Diese Beobachtungen basieren auf zwei Studien aus den Jahren 2016 und 2017, die das fög zitiert.
Erfreulicherweise gibt es mittlerweile diverse Bestrebungen, die mittel- bis langfristig hoffentlich dazu führen, dass der mediale Gender-Gap zurückgeht. Ein gutes Beispiel ist die Initiative EqualVoice des Medienkonzerns Ringier. 2019 lanciert, hat die Initiative zum Ziel, die Sichtbarkeit von Frauen in den Medien zu erhöhen und ihnen die gleiche Stimme zu geben wie Männern. Der sogenannte EqualVoice-Factor, ein eigens von Ringier entwickelter Algorithmus, misst die Erwähnungen von Frauen und Männern in den Artikeln einzelner Medientitel. Zu Beginn wurden ausschliesslich Online-Berichte analysiert, seit 2022 werden auch Zahlen zu einigen Printmedien aus dem Verlag erhoben wie dem Beobachter, dem SonntagsBlick und der Handelszeitung. Die Ergebnisse sollen unter anderem dazu dienen, eine Debatte auf den Redaktionen anzustossen.
Und was können wir tun?
Als Kommunikationsagentur sind auch wir in der Pflicht, einen Beitrag zu einer ausgeglicheneren Repräsentation von Frauen und marginalisierten Personengruppen zu leisten. Als PR-Berater:innen sollten wir unsere Kundinnen und Kunden dazu ermutigen, bewusst auch Expertinnen in der Medienarbeit einzusetzen. Gemeinsam mit den Unternehmen können wir sie auf die Zusammenarbeit mit den Medien vorbereiten und mit Gesprächsangeboten gezielt positionieren.
In unserer Funktion als Redaktor:innen für Kunden-/Mitarbeitendenmagazine und weitere Unternehmenspublikationen müssen wir ebenso auf eine ausgewogene Verteilung der Geschlechter achten. Es lohnt sich, bei der Recherche manchmal mehr Zeit aufzuwenden, um eine geeignete Expertin für ein Fachinterview zu finden. Häufig bringt die Suche zuerst männliche Namen hervor, weil diese Personen schon öfter zitiert wurden und damit präsenter sind. Der Teufelskreis lässt grüssen. Das heisst aber selbstverständlich nicht, dass es keine passenden weiblichen Auskunftspersonen gibt. Wir müssen diese nur ausfindig und sichtbar machen.
- Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög)/ Universität Zürich: Jahrbuch Qualität der Medien Studie 3/2021; Darstellung von Frauen in der Berichterstattung Schweizer Medien
- Dieser Text fokussiert hauptsächlich auf die mediale Repräsentation von Frauen. Als Verfasserin möchte ich aber bewusst darauf hinweisen, dass die Berichterstattungen von Schweizer Medien generell vielfältiger und inklusiver werden sollten.