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24.05.2022 |

Bitte nur Schubsen!?

Wenn meine Tochter jemanden schubst, empfinde ich dies als falsch. Eine Verhaltenstheorie dagegen empfiehlt Schubsen als Mittel zum Zweck. Darf sie also doch?

Schubsen ist bei Kindern eine Form der Kommunikation. Die Auslöser für solche Handgreiflichkeiten sind unterschiedlich: eine nicht geglückte Form der Kontaktaufnahme, Müdigkeit, Hunger oder kleine Veränderungen im Tagesablauf. Das Schubsen ist ein Impuls, doch die Impulskontrolle befindet sich bei jüngeren Kindern noch in der Entwicklung. Darum schubsen Kinder, obwohl sie wissen, dass sie dies nicht tun sollten. Als Vater muss ich mir dann immer wieder vor Augen führen, dass meine Tochter in diesem Moment auf ein Bedürfnis hinweist. Reagiere ich angemessen, ist dieses befriedigt. Der Zweck heiligt die Mittel? Das wäre die falsche Interpretation, denn sie handelt nicht bewusst.

Politisch korrekt schubsen

Doch nicht nur in der Kindererziehung kann Schubsen ein Thema sein. Eine Verhaltenstheorie, die Schubsen (neudeutsch «Nudging») in den Mittelpunkt stellt, liess mich aufhorchen. Beim vor allem in der Verhaltensökonomie eingesetzten Methode geht es darum, Verhaltensweisen in eine gewisse Richtung zu lenken. Die Zielpersonen sollen dabei nur «geschubst bzw. gestupst» werden und dann – ohne Gebote, Verbote oder sonstige Anreize – ihre eigene Entscheidung treffen.

Wie sieht das in der Praxis aus? Die Lebensmittelampel hilft dabei, eine informierte Entscheidung für eine gesündere Lebensweise zu treffen. Auch die automatische Organspende ist ein richtungsgebender Nudge, bei dem man sich bewusst dagegen entscheiden muss. Die Erinnerung der Smartwatch, dass man das tägliche Schrittziel noch nicht erreicht hat, ist ein Schubs, der ein individuell erwünschtes Verhalten auslösen soll.

Grundlage für die Theorie des Nudgings ist die Annahme, dass Menschen sich typischerweise nicht rational verhalten. Daher fällt es ihnen schwer, optimale Entscheidungen für sich selbst zu treffen. Nudges sollen demnach helfen – nach Einschätzung einer Regierung, eines Unternehmens oder einer Organisation – bei voller Wahlfreiheit die «richtige» Entscheidung zu treffen.

Einen Haken hat die Sache

Man könnte sagen, Schubsen für den richtigen Zweck ist somit ok. Schliesslich weiss jeder, dass Energiesparen oder gesunde Ernährung wichtig sind. Doch oft obsiegt der innere Schweinehund und man lässt es sein. Wird also eine Verhaltensänderung angestossen, die man aus rationaler Sicht eh als erstrebenswert empfinden, spricht eigentlich nichts dagegen.

Doch wie ich bei meiner Tochter das Schubsen nicht gut finde, ist Nudging auch nicht über jeden Zweifel erhaben. Nicht umsonst gibt es auch «Dark Nudges». Bei diesen hinterhältigen Schubsern werden Ziele angestrebt, die nicht dem Wohle des Einzelnen oder der Gesellschaft dienen. Ein typisches Beispiel sind Abonnemente, die zu Beginn kostenlos sind und dann möglichst unbemerkt in den Bezahlmodus wechseln. Nudging funktioniert daher nur bei einer transparenten Umsetzung und wenn es einfach ist, sich gegen die anvisierte Wahlmöglichkeit zu entscheidet.

Über den Autor

Patrick Preuss mag es eigentlich lieber praktisch. Dennoch findet er, dass dem Theoretischen als Inspirationsquelle genügend Platz eingeräumt werden sollte. Was für einen stimmt, entscheidet aber jeder für sich selbst.