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13.02.2025|

Das Overton-Fenster: Wenn das Undenkbare salonfähig wird

Können Sie sich einen Präsidenten vorstellen, der vorschlägt, Grönland zu annektieren, die Kontrolle über den Panamakanal zurückzuerlangen oder die Bevölkerung des Gazastreifens umzusiedeln? Einst Ketzerisches scheint Wirklichkeit geworden zu sein. Ideen, die zunächst als absurd gelten, werden nach und nach zum Thema von Debatten, gewinnen an Zustimmung und werden so mit der Zeit plausibel und schliesslich sogar populär. Perfekt beschrieben wird dieses Phänomen vom «Overton-Fenster». Und wir als Kommunikationsprofis stehen in der Pflicht.

Das vom Politikanalysten Joseph P. Overton entwickelte Overton-Fenster ist ein bedeutendes Konzept, das veranschaulicht, wie bisher undenkbare Ideen zunächst in den öffentlichen Diskurs einfliessen und sich schliesslich sogar durchsetzen können. Das Fenster umrahmt die Gesamtheit aller Ideen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Gesellschaft als akzeptabel erachtet werden. Ideen, die sich ausserhalb dieses Fensters befinden, gelten als extrem. Allerdings kann sich der Rahmen verschieben – beeinflusst von politischen Ereignissen, den Medien und gesellschaftlichen Akteuren. Sind diese Ideen erst einmal in das Fenster eingepasst, können sie Normen und kollektives Denken grundlegend verändern. 

Das Overton-Fenster und seine Entwicklungsstufen 

  1. Undenkbar: Ideen in diesem Stadium werden als völlig extrem und undenkbar empfunden und im öffentlichen Diskurs nicht einmal berücksichtigt.

  2. Radikal: Diese Ideen werden mitunter von einer Minderheit vertreten, aber weitgehend abgelehnt. 

  3. Akzeptabel: Gewisse radikale Ideen werden akzeptabel und fliessen in die öffentliche Diskussion ein. 

  4. Sinnvoll: Akzeptable Ideen werden als logisch und rational empfunden. 

  5. Populär: Die Ideen können sich schliesslich als Mehrheitsmeinung oder sogar in Form öffentlicher Politiken durchsetzen. 

 Das Overton-Fenster in der Popkultur 

Die Populärkultur hält dazu verschiedene anschauliche Beispiele bereit:  

Die französische Serie La Fièvre, die auf Canal+ ausgestrahlt wird, analysiert die schleichende Normalisierung extremistischer Sichtweisen und Diskurse. In einer dystopischen Gesellschaft akzeptieren die Figuren, die oft von den Medien und persönlichen Ängsten gesteuert werden, allmählich einst marginale, kontroverse Ideen. Die Serie beleuchtet die Gefahren dieses Wandels und die Fragilität des sozialen Zusammenhalts, indem sie zeigt, wie Menschen radikale Ideen nach und nach als rational ansehen – manchmal ohne es zu merken. 

Die von Netflix bekannte US-Serie Succession, die sich mit den Intrigen und Machtkämpfen innerhalb einer einflussreichen Familie an der Spitze eines Medienimperiums befasst, bietet eine weitere Perspektive auf dieses Phänomen. Die Familie Roy nutzt unter anderem ihre Medienmacht, um letztlich gesellschaftliche Normen zu manipulieren und damit ihre Interessen zu wahren. Diese Kontrolle durch eine Elite zeigt, wie Ideen im Sinne wirtschaftlicher und politischer Interessen verschoben oder neu geformt werden können. Gleichzeitig unterstreicht die Serie die entscheidende Rolle der Medien bei der öffentlichen Meinungsbildung. 

Donald Trump und die Banalisierung extremer Diskurse 

Auch die aktuelle Politik liefert Beispiele, wie der Einfluss Donald Trumps auf die öffentliche Debatte in den USA verdeutlicht. Dank einem groben Kommunikationsstil und der Nutzung sozialer Medien ist es Trump gelungen, das Overton-Fenster zu verschieben. Mit seinen Reden und Stellungnahmen hat er Ideen normalisiert, die lange als extrem empfunden wurden: das Infragestellen der Demokratie, die Legitimierung von Verschwörungstheorien oder aber die Stigmatisierung von Minderheiten. Indem er das Overton-Fenster erweiterte, sorgte er dafür, dass diese kontroversen Ideen in Teilen der US-Gesellschaft nicht nur diskutabel, sondern vorherrschend wurden. So gelang ihm 2024 auch die Wiederwahl.  

Wachsamkeit gegenüber Veränderungen im öffentlichen Diskurs 

Ob es nun in Serien wie La Fièvre oder Succession oder aber durch Persönlichkeiten wie Donald Trump in der Politik Anwendung findet – das Overton-Fenster ist ein wichtiges Instrument, um die Entwicklung von Diskursen in einer Gesellschaft zu verstehen. Die damit zusammenhängenden Veränderungen können tiefgreifende Auswirkungen auf den sozialen Zusammenhalt und die Grundwerte der Gesellschaften haben. 

Unsere Aufgabe als Kommunikationsprofis ist es, diese Dynamik im Auge zu behalten, um zum Erhalt einer gesunden und ausgewogenen öffentlichen Debatte beizutragen. Mit seinen Entwicklungsstufen erinnert uns das Overton-Fenster daran, wie wichtig es ist, wachsam zu verfolgen, welche Diskurse eine wachsende Anzahl Anhänger:innen finden und welche Auswirkungen sie somit auf die Zukunft unserer Gesellschaften haben können.

Über die Autorin

Nabila Bouzouina weiss, wie zentral es ist, die Öffentlichkeit für den Einfluss und die Folgen kontroverser Positionen zu sensibilisieren, wenn diese von einflussreichen, prominenten Persönlichkeiten vertreten werden.