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05.05.2021 |

Der Stern, über den wir sprechen müssen

Was halten Sie vom Genderstern, liebe Leser*innen? Irritiert es Sie, wenn Sie von den Wähler/innen, die an die Urne gingen oder den Student:innen lesen? Inklusive Sprache führt zu hitzigen Diskussionen – und das ist auch gut so, denn Sprache ist lebendig und wandelbar.

Sprache formt, prägt und beeinflusst uns bis tief in unsere Glaubenssätze und Vorstellungen. Bittet man Kinder, «Lehrer» oder «Schüler» zu zeichnen, zeigen sie oft Bilder mit vorwiegend männlichen Personen. Sehen Sie selbst im Video von Journalistin Eva Schulz. Das geht sogar einen Schritt weiter: Wird die weibliche Form bei männlich geprägten Berufen wie Ingenieuren oder Elektrikern weggelassen, kommen weniger Mädchen auf die Idee, dass auch sie einen solchen Beruf ausüben könnten.

Der männliche Prototyp
Lange wurde in unserer Sprache das generische Maskulinum – beispielsweise der Kunde, die Mitarbeiter oder die Piloten – stellvertretend auch für die weiblichen Personen gebraucht. Texter*innen gingen davon aus, dass beide Geschlechter in der Verwendung männlicher Begriffe inkludiert werden. Doch das funktioniert in der Realität nur selten. Zahlreiche Studien in verschiedenen Sprachen haben immer wieder gezeigt, dass das generische Maskulinum eben nicht generisch, sondern vor allem männlich interpretiert wird. Und dies nicht nur bei Kindern, sondern auch Erwachsenen. Das Resultat: Frauen bewerben sich weniger häufig auf Stellenausschreibungen in männlicher Form und in Umfragen werden die Ergebnisse verzerrt, weil das generische Maskulinum die Antworten der Teilnehmer*innen beeinflussen. So hat die Sprache einen direkten Einfluss auf das Unternehmen und Business.

Der Duden hat Anfang 2021 das generische Maskulinum abgeschafft. Die männliche Form bezieht sich nicht mehr auf beide Geschlechter. Ein Politiker ist nun eine “männliche Person, die ein politisches Amt ausübt.”

Die Vielfalt der inklusiven Sprache
Doch welche Möglichkeiten gibt es, Sprache inklusiv zu gestalten? Wie bei allem gibt es für alle Varianten Vor- und Nachteile.

  • Binnen-I: Leser/innen oder LeserInnen
    Das eingeschobene I kam in den 80er-Jahren als Kompensation der männlich geprägten Sprache auf und wurde kontrovers diskutiert. Kritisiert wird oft, dass Frauen als Anhängsel dazu geschoben werden.

  • Paarformeln: Leserinnen und Leser
    Wie das Binnen-I inkludiert die Paarformel nur Menschen, die sich einem binären Geschlecht (Frau/Mann) zuordnen. Im Lesefluss kann die Paarformel in Kombination zu Pronomen zu langen, umständlichen Sätzen führen («die aufmerksame Leserin und der aufmerksame Leser»).

  • Partizipialkonstruktionen: Lesende
    Streng genommen ist der allgemeine Gebrauch nicht korrekt, weil Lesende nur dann Lesende sind, wenn sie gerade in dem Moment am Lesen sind. Zudem kann es bei Texten mit vielen Personenbezeichnungen sehr generisch wirken. Positiv ist jedoch, dass es nicht nur die binären Geschlechter Frau und Mann inkludiert, sondern auch alle anderen Geschlechteridentitäten miteinbezieht.

  • Genderstern, -doppelpunkt und -unterstrich: Leser*innen, Leser:innen, Leser_innen
    Ähnlich wie die Partizipialkonstruktion inkludiert das Gendersymbol alle Geschlechteridentitäten, also nicht nur Mann / Frau. Dadurch macht man nicht nur Frauen, sondern die ganze Vielfalt, die es in unserer Gesellschaft gibt, sichtbar.

  • Genderfreie Formen, zum Beispiel nach Phettberg: das Lesly
    Die genderfreie Sprache lässt kein Geschlecht mehr erkennen und bevorzugt das Neutrale. Hier stellt sich die Frage, ob die Gesellschaft Geschlechteridentitäten aus der Sprache komplett streichen möchte, oder ob sie eben gerade die Sprache als Chancen nutzen möchte, dafür Platz zu schaffen.

Es geht nicht um Perfektion, sondern Diskussion
Wenn Sie sich nun fragen, wo Sie beginnen sollen und welche Form Sie am besten wählen, dann möchte ich Ihnen vor allem eins ans Herz legen: Inklusive Sprache ist ein Prozess, bei dem der Weg das Ziel ist. Denn Sprache ist lebendig und es soll ein Austausch darüber stattfinden. Die zentrale Frage bei inklusiver Sprache ist weniger die Perfektion oder das Symbol, sondern das Bewusstsein rund um den Einfluss der Sprache.

Wenn Sie sich nun fragen, ob es Ihre Aufgabe ist, das gesellschaftliche Bewusstsein zu verändern, dann sage ich Ihnen: Nein, nicht grundsätzlich. Aber durch Ihre Sprache und Kommunikation haben Sie die Möglichkeit, für Ihre Werte einzustehen und Menschen bewusst einzuschliessen statt vermeintlich “mitzumeinen”. Deshalb wäre es doch schade, wenn wir es verpassen, mit der Sprache das abzubilden, was in der Realität vorherrscht, nämlich Vielfalt. Damit in Zukunft auch mehr Ingenieur*innen in Kinderzeichnungen und im Berufsleben Platz finden.

Autorin
Daria Tamagni diskutiert gerne über inklusive Sprache und lernt immer wieder etwas Neues dazu. Es gibt nicht den einen Weg, aber ob Inklusion in der Sprache Platz hat, ist für sie keine Frage mehr.