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15.10.2024|

Die Kraft ikonischer Bilder

 

Sei es bei historischen Situationen wie dem Attentatsversuch auf Donald Trump oder bei globalen Grossereignissen wie den olympischen Spielen – Bilder, die spezielle Momente und Emotionen einfangen, bleiben über Jahre im Gedächtnis und prägen die kollektive Erinnerung. Um heute Eindruck zu hinterlassen, sollten sie «memeable» sein.

Spätestens seit dem Attentat auf Donald Trump, als das Bild des Ex-Präsidenten mit blutverschmiertem Gesicht und erhobener Faust weltweit die Titelseiten füllte, wird wieder vermehrt über ikonische Bilder gesprochen. Gerade diesem Bild wird das Potenzial dafür zugeschrieben. Welche Bilder dann tatsächlich mit dem Prädikat «ikonisch» in die Geschichte eingehen, kann nur die Zeit zeigen. Es gibt aber einige Indizien, die diese Bilder gemeinsam haben.

Ikonische Bilder sind mehr als nur Momentaufnahmen. Sie gleichen einer Art visuellen Zeitkapsel, die bedeutende historische Ereignisse, kulturelle Bewegungen oder emotionale Momente einfängt und in einer einzigen Abbildung einfriert. Es ist die maximale Reduktion einer ganzen Geschichte auf ein Bild. Genau diese Fähigkeit ist auch der Grund, warum – trotz zunehmendem Fokus auf das Bewegtbild – Standbilder nach wie vor diese gesellschaftliche Bedeutung erreichen können.

Fotos beeinflussen die öffentliche Wahrnehmung

Dabei geht es eben meist nicht nur um einen dokumentarischen Wert des Bildes, obwohl viele dieser Fotos journalistischer Natur sind und aus dem Grund der Dokumentation entstanden sind. So zum Beispiel das berühmte Bild des Hissens der amerikanischen Flagge auf Iwo Jima oder das Bild des „Napalm-Mädchens“ aus dem Vietnamkrieg, über dessen Entstehung ich bereits hier geschrieben habe. Diese Bilder erzählen Geschichten, die über ihre unmittelbare Bedeutung hinausgehen. Das Vietnam-Foto steht nicht mehr nur für diesen konkreten Napalm-Angriff auf ein Dorf. Es hat sich zu einem Symbol für den Schrecken des Vietnamkrieges entwickelt.

Solche Bilder vermögen es, die öffentlichen Wahrnehmungen stark zu beeinflussen, und bleiben oft tief im kollektiven Gedächtnis verankert. Das Bild von Trump wird bereits jetzt als ein Symbol für seinen Kampfgeist in einer polarisierten politischen Landschaft angesehen. So oder so wird es die kollektive Erinnerung an das Attentat prägen.

Hohe Symbolkraft über mehrere Generationen

Diese historischen Symbole in Form von Bildern sind aber nicht zwingend an die Technik der Fotografie gebunden. Es gab sie lange vorher schon – in Form von Kunstwerken. Biblische Szenen, die in Gemälden oder Skulpturen oft ähnlich dargestellt wurden, prägten die Vorstellung dieser Geschichten und vermittelten Botschaften über Generationen. Neben der Darstellung der Kreuzigung Christi gehört auch das letzte Abendmahl von Leonardo da Vinci zu den wichtigsten bildlichen Symbolen eines ganzen Kulturkreises. Es vereinheitlicht die gesellschaftliche Vorstellung einer verschriftlichten Geschichte.

Die hohe Symbolkraft solcher einzelnen Bilder zeigte sich an der Eröffnungsfeier der olympischen Spiele in Paris. Genau diese über Generationen eingeprägte Szene wurde in einer kurzen Sequenz der vierstündigen Show nachgestellt. Anstelle von Jesus und seinen Jüngern handelte es sich bei den Protagonist:innen aber um queere Personen. Der anschliessende Aufschrei religiöser Kreise und die mediale Debatte darüber war nur möglich, weil das Bild an sich in der Gesellschaft so eingeprägt ist. Egal wer die Szene nun nachstellt, alle vor dem Fernseher verstanden die Referenz.

Moderne ikonische Bilder sollten «memeable» sein

Ob es nun langfristig wirklich dieses Bild sein wird, das von Paris 2024 hängen bleibt, sei dahingestellt. Vielleicht sind es dann auch Bilder aus den sportlichen Wettkämpfen. Wahrscheinlich werden es aber auch da nicht die Sieger:innen mit ihren Medaillen sein, sondern die speziellen Fotos. Wie der Surfer, der für die Fotografen spektakulär vom Brett sprang und den Eindruck erweckte, er schwebe vor seinem Surfbrett. Oder der türkische Pistolenschütze, der lässig die Hand im Sack hielt und im Gegensatz zu seiner Konkurrenz gänzlich ohne technische Hilfsmittel auskam – und so mit seiner Kollegin auch noch Silber holte.

Letztere beiden Fotos haben etwas gemeinsam, was im Social-Media-Zeitalter wichtiger ist als in vergangenen Epochen: Sie sind «memeable». Das heisst, sie eignen sich im Internet als Meme und haben so das Potenzial, tausendfach weiterverbreitet und zu einem viralen Hit zu werden. Etwas, das viele Unternehmen auch gerne mit ihren Bildern und Online-Inhalten erreichen möchten. Wirklich planbar ist das aber nicht, vor allem nicht in einem positiven Kontext. Provokation ist einfach – aber um wirklich bedeutungsvolle, ikonische Bilder zu kreieren, braucht es neben der passenden Situation auch eine gewisse Zufälligkeit.

Über den Autor

Livio Fürer-Staudinger setzt sich gerne mit Bildern und ihrer Bedeutung in der Kommunikation auseinander.